topographia memoriae

topographia memoriae für Ensemble und Zuspielung

Besetzung: Flöte (auch Bfl.), Klarinette (auch Bklar., Kbklar.), Perkussion, Klavier, Violine, Violoncello und Zuspielung (6 Kanäle).

26′, UA: Zürich 17.5.2018, ensemble für neue musik Zürich, Leitung Jürg Henneberger
Auftragswerk des ensemble für neue musik Zürich & des Forum Neue Musik Luzern

In diesem Stück setze ich mich mit der Erinnerung, dem Erinnern als kreativen Prozess auseinander. Musikalisches Material wird im Laufe des Stücks erinnert – es entstehen Erinnerungslücken, die wiederum neu ausgefüllt werden. Das Verhältnis von Erinnerung und Erfindung ist inspiriert von Calvinos Roman „Le città invisibili“, in dem Marco Polo sich auf Geheiss Kublai Khans an die Städte erinnert, die er auf seinen Reisen besucht hat. Diese Städte entstehen aber erst in den Erzählungen Polos, sind also gar keine eigentlichen Erinnerungen. Gleichwohl entstehen sie plastisch vor den Augen des Lesers.
„L’espace est un doute, il me faut sans cesse le marquer, le désigner“, schreibt Georges Perec in seinen Espèces d’Espaces. Dieses Stück ist ein Versuch, diese Erinnerungsräume zu komponieren.

Das Werk ist in drei Teile gegliedert, die sich in unterschiedlicher Weise mit diesen Erinnerungsvorgängen beschäftigen:
Im ersten Teil „Scie“ – übersetzt: die flüchtigen Spuren eines Schiffes im Wasser – steht die Frage im Mittelpunkt, welche Spuren Klänge in unserer Erinnerung hinterlassen. Das Anfangsmaterial, eine dichtgewebte Tutti-Textur, verändert sich langsam und kaum merklich, andere Erinnerungen überlagern es, ehe es wieder zurückkehrt. Ist es das Gleiche, wie dasjenige, woran wir uns erinnern oder hat es sich verändert?

Der zweite Teil „Artefatti“ beschäftigt sich mit den klanglichen Assoziationen, die Dinge (vom Radio bis zum Instrument) in unserer Erinnerung hervorrufen können. Assonanzen an bestehende Musik werden durch kanonische Strukturen im Ensemble überwuchert – Erinnerungen kommen und gehen.

Im dritten Teil „Voci“ wird die menschliche Stimme als Erinnerungsträger zum Thema. Zuspielungen mit Texten von Kafka, Perec und Ungaretti, die sich ihrerseits mit Erinnerung auseinandersetzen, bilden mit immer wieder auftauchenden Klanglandschaften – Field Recordings aus einst besuchten Städten – einen Assoziationsraum. Das Ensemble, das sich vom Duo – Bassflöte und Violoncello – zum Quintett erweitert, bewegt sich zwischen diesen Räumen, verbindet und verändert sie. Zwischen Rückkoppelungsprozessen, Maschinen- und Umgebungsklängen tauchen Fetzen von Gesungenem auf, Echos einer vergangenen Musik, die aus der Ferne noch einmal erhorcht wird. Am Ende steht die Frage: Was bleibt in Erinnerung?