ombres de l’invisible
Sieben Fragmente nach Texten von Constance Schwartzlin-Berberat für Sopran und Ensemble
UA: Zofingen, 21.1.2017
Catriona Bühler, Sopran, ensemble für neue Musik Zürich, Jürg Henneberger, Leitung
Ich bin per Zufall in einer Anthologie auf die Gedichte von Constance Schwartzlin-Berberat gestossen und war fasziniert von der bildnerischen, kalligraphischen Gestaltung dieser Texte einerseits, aber auch von der Eindringlichkeit, mit der die Autorin ihre Situation schildert. Dass ich diese Gedichte als Ausgangspunkt für ein eigenes Werk nehmen wollte, war mir unmittelbar klar.
Seit letztem Frühling habe ich mich mit den Gedichten auseinander gesetzt, sie auf ihre ihnen immanente Musikalität abgehört, nachgedacht über Strukturen und Bezüge, die in diesen Texten präsent sind.
Das Werk umfasst nun sieben Teile, die sich sowohl von ihrem Wesen als auch in der Art, wie sie mit dem Text gehen, sehr unterscheiden.
Der erste Satz eröffnet das Werk mit einem dreiminütigen Instrumentalvorspiel, das im Tutti des Ensembles eine Klangwelt exponiert, die geprägt ist von Impulsschlägen und Nachklängen, Glissando-Ausbruchversuchen in den Streichern, immer wieder das Suchen nach Ruheinseln in einem Strom von dichter, dissonanter Klanglichkeit. Die Sängerin schleicht sich dann quasi ins Stück hinein, in einem Umfeld von brüchigen, perkussiven Klängen stammelt sie erste Wortfetzen, bevor sie plötzlich alleine dasteht und die erste Phrase spricht. Der ganze Satz bewegt sich fortan in dieser Polarität zwischen Aussprechen- und Aussingen-Wollen und -Können, bis sich gegen Ende endlich ein Kontinuum von gesungenen und gespielten Linien einstellt.
Der zweite Satz beschäftigt sich mit den „personnes de la folie“ und bringt diese in einen musikalischen Formkontext: eine Figur wird zweimal verdoppelt und verändert, „Figure“ und zwei „Doubles“ einerseits als Metapher für die eingebildeten Personen, andererseits als Hommage an die barocke Variationstradition.
„Wie von fern“ klingt das anschliessende „Echo-Fragment“ hinüber, und hier werden in einer Miniatur für Klaviertrio scheinbar traditionelle Gesten neu erforscht. Ein Hornruf, der an „Les Adieux“ erinnert, ein tiefer Triller im Klavier, der an Schuberts bedrohlich murmelnde Triller in der Tiefe (etwa in der B-Dur-Sonate) gemahnt. Wir werfen den Blick zurück und sehen die Vergangenheit wie in einem Bild von Gerhard Richter scheinbar plastisch vor uns, doch durch einen Schleier auch eindeutig unserer Zeit entrückt.
Der dritte Satz zerstört diese Intimität durch ein massives Tutti, das die Anklage der Sängerin gegen ein unmenschliches System, das der damaligen Psychiatrie, in Musik übersetzt. Nach diesem Ausbruch folgt mit dem vierten Satz ein Klagegesang: über einer chromatisch absteigenden Basslinie kleidet das Ensemble die Linien der Sängerin ein, etabliert einen Hallraum für ihre Phrasen.
Der fünfte Satz – überschrieben mit „nerveux et strident“: nervös und schrill – ist mit dem dritten eng verwandt. Die grelle Klanglichkeit mit Piccoloflöte, Es-Klarinette, Bongo und gedämpftem, perkussiv verwendetem Klavier ist Ausdruck des im Text angesprochenen Unvermögens, sprechen zu können. Im Anschluss an diesen zweiten Ausbruch folgt das zweite Echo-Fragment, das mit dem ersten eng verwandt ist.
Der sechste Satz ist der vielleicht intimste und dunkelste: Cello und Gongs bereiten den Grund für die Kantilenen der Sopranistin, Echos des Echo-Fragments wehen mittels der Holzbläser hinüber. Diese Innerlichkeit wird jedoch durch einen jähen Ausbruch der Sopranistin zusammen mit der grossen Trommel gesprengt, ehe die Musik wiederum – resignierend – dorthin zurückkehrt.
Der siebte Satz fasst die Musik der sechs vorangegangenen Sätze zusammen: eine Reprise des Anfangs des ersten Satzes bildet eine grosse Klammer um das ganze Stück. Diese Reprise mündet in ein Sopransolo, Ausdruck der Sopranistin, des Individuums, das auf sich selbst zurückgeworfen ist. In Melismen windet sich die Stimme hoch von der tiefen Lage („c’est noir, tout noir“) in höhere Regionen, ehe das Ensemble wieder mit der Klangfläche, die bereits im vierten Satz vorkam, einsetzt. Diese Fläche, die wiederum langsam chromatisch nach oben steigt, wird nun aber nicht mehr nach dem Durchlaufen einer Quinte wieder nach unten abgebogen, sondern steigt unaufhaltsam höher und höher, wird lauter und lauter, bis sie in einem lichten H-Dur-Quartsextakkord – Metapher des „paradis qui crée les lettres“ und bereits in den Echo-Fragmenten vorausgeahnt, kulminiert. Diesem Durchbruch – per aspera ad astra – läuft jedoch die Zurücknahme der Dynamik ins piano entgegen.
Was am Ende bleibt, ist die Hoffnung, in der Innerlichkeit der Kunst, des eigenen Schreibens, so etwas wie ein Paradies zu finden. Ob diese Hoffnung erfüllt werden kann, muss offen bleiben.